Bindung sicher erleben

Bindung sicher erleben

Jeder Mensch hat eine eigene Erlebniswelt, die in Verbindung mit Beziehungen steht. Die Erfahrungen, die wir in den ersten drei bis fünf Lebensjahren mit unseren Bezugspersonen gemacht haben, beeinflussen unser Selbstbild und das Bild, das wir von anderen haben. Auch unsere Gene spielen eine Rolle und beinhalten Erfahrungen unserer Vorfahren und Eltern.


Für mich gibt es zwei Möglichkeiten, wie ich mich in einer Beziehung erlebe, zum jetzigen Zeitpunkt, was sich auch immer noch verändern kann: 

Das Erste ist: 

Im Kontakt und der Verbindung zu anderen: „Wenn ich dich spüre, dann weiß ich, dass ich existiere und dass mein Überleben gesichert ist." 

Das Zweite ist:

Im Kontakt mit mir selbst: „Wenn ich mich spüre, dann weiß ich, dass ich existiere und dass ich für mich selbst gut sorgen kann.“


Zwei Handlungen, die auf den ersten Blick dasselbe implizieren. In der Vergangenheit war es aber häufig so, dass das erste mich von mir selbst dissoziieren ließ und das zweite mich zu mir und die Verbindung zu mir geführt hat. 


Diese innere Haltung beruht auf meinen Erfahrungen. Bei dir kann es ganz anders sein als bei mir. Da gibt es kein Richtig oder Falsch!


Durch intensive Traumaarbeit habe ich nun ein größeres Bewusstsein über diese Vorgänge und es gelingt mir immer mehr in Verbindung zu anderen, bei mir selbst zu bleiben.



Der Kontakt und das Gefühl der Verbundenheit zu anderen, das ist ein wichtiger Faktor bei der Traumaheilung. 



Um meinen Heilungsprozess und meinen Traumaprozess zu unterstützen, ist es wichtig, dass ich Kontakt zu anderen aufnehme und wir uns gegenseitig an unsere Stärken und Bedürfnisse erinnern. Durch den Austausch kann Wunderbares geschehen. Achtsamer Umgang, Kommunikation und ein "In - Kontakt" bleiben können, sind elementare Bestandteile einer Beziehung, die eine Basis für den Heilungsprozess schaffen und ihn unterstützen. 


"In - Kontakt" bleiben können, bedeutet, dass bei harmonischem Austausch, wie auch bei Streitigkeiten, das Nervensystem und der Körper lernen, dass die Verbindung zur Bezugsperson bestehen bleibt und es an der Grundbeziehung nicht rüttelt. Welche im optimalen Fall auf der Basis von Liebe und Wertschätzung aufgebaut ist. 


Menschen mit Entwicklungs- und Bindungstrauma in ihrer Biografie, haben diese Basis nicht in ihrem System einbetten können, da sie es nicht erlebt haben. Wenn als Kind die Beziehung zu der oder den Bezugspersonen nicht sicher war, hat das autonome Nervensystem für das Überleben gesorgt. Die Strategien, die das Nervensystem dann vorgibt und das Handeln bestimmt, gehen oft in Richtung Unterwerfung, Erstarrung und Kollaps. Dies alles dient dem Überleben, denn als Kind weiß man, dass das Überleben von den erwachsenen Bezugspersonen abhängt.


Mit dieser Biografie im Hintergrund steht man oft vor der großen Herausforderung, bei der Suche nach einer sicheren Bindung, sich nicht immer wieder nur auf eine Person zu fixieren. Die Traumafolgen daraus führen oft dazu, dass Menschen mit einer solchen Biografie ihr ganzes Leben lang nach der einen Person suchen, die sie rettet, bei der sie Zuflucht finden und sich sicher fühlen können. 


Ich bin mir bewusst darüber, dass dies auch bei mir eine Traumafolge ist. Das Bewusstsein darüber erleichtert meine Haltung gegenüber diesen Gedankenvorgängen enorm. Die Herausforderungen, die ich weiterhin spüre, liegen in der emotionalen Dimension.



Ich habe in meinem Leben erfahren, wie wichtig es ist, in Kontakt zu treten, sowohl mit mir selbst als auch mit anderen Menschen.



Um mit mir in Kontakt zu kommen, habe ich meinen Sport, den Spaziergang in der Natur, die Meditation, die Somatisch-Orientierten-Sicherheitsübungen nach Kati Bohnet uvm. Mittlerweile nutze ich bewusst das, was ich schon früher unbewusst und im Laufe des Lebens entwickelt habe, um mit mir selbst in einen guten und angenehmen Kontakt zu kommen. Oftmals ist die Hürde, in eine Bewegung zu kommen, für sich selbst gut zu sorgen. Sobald ich diesen Punkt überwunden habe, fällt es mir leichter, die nächsten Schritte zu gehen.



Wer in einer sicheren Umgebung über seinen Schmerz sprechen kann, hat bereits viel erreicht.



Dies alles erfordert Geduld mit sich selbst. Nicht immer wird es gelingen und das darf auch sein.

Eine Sache ist essenziell: Sich ein sicheres Netzwerk aufzubauen, mit Menschen, mit denen man in Kontakt treten kann und bei denen man sich wohlfühlt.


Wie ist es aber nun, wenn man ganz am Anfang seines Heilungsweges im Traumaprozess steht? Wie macht man die ersten Schritte? Woher weiß man, was man tun kann, was hilft? Dazu möchte ich ein wenig ausholen.


Wenn man an einem Punkt angelangt ist, wo die Kraft, die einen vorantreibt, bereits auf ein Minimum gesunken ist, dann ist es entscheidend, dass man sich Hilfe sucht. Vielleicht befindet man sich bereits in einem Burn-out, einer tiefen Depression oder einem Kollaps. Doch Hilfe aufzusuchen, ist nicht nur wichtig, sondern auch einer der ersten Schritte. Dieser erste Schritt leitet einen Wendepunkt ein. Obwohl es sich wie ein Ende anfühlen mag, markiert er gleichzeitig den Beginn im Heilungsprozess. Denn Hilfe zu suchen, danach überhaupt zu fragen, ist gar nicht so leicht, wenn man als Kind bei seiner Zufluchtssuche vorwiegend ins Leere gelaufen ist oder die Zuflucht bei den Bezugspersonen mit Gefahr verbunden war. So hat man früh gelernt, dass es besser ist nicht zu fragen und die Dinge mit sich selbst auszumachen. Als Traumafolge entsteht hier dann das Gefühl, dass es besser ist alles alleine zu machen oder dass man unentwegt nach Hilfe fragt, obwohl man es selber tun könnte.


Hier sind dann körperorientierte Traumatherapien, welche Nervensystemwissen und Wissen über die biologischen Vorgänge bei Trauma beinhalten, aus meiner Erfahrung ein guter Weg. Verhaltenstherapien oder analytische Therapieformen können am Anfang hilfreich sein, aber haben ihre Begrenzungen, wenn es dann um Trauma-Heilungsprozesse geht. Therapieformen, die Konfrontation beinhalten, halte ich aus persönlicher Erfahrung für gefährlich. Die Gefahr der Retraumatisierung ist sehr hoch. Und warum sollte man sich in so Gefahren begeben, wenn es doch dienlichere Methoden für traumatisierte Menschen gibt!


Heute gibt es viel mehr Informationen über Trauma, über die Funktionsweise des autonomen Nervensystems in Bezug auf Trauma und Stress. Ich persönlich habe für mich selbst, sehr viel aus der Polyvagal-Theorie nach Steven Porges, der Somatic experiencing Traumatherapie nach Peter Levine und zahlreichen Workshops, die ich in diesem Zusammenhang besucht habe, für mich herausziehen können. Traumaeducation ist ein wichtiges Element und gehört zum Heilungsprozessweg dazu.


Wenn unsere Biografie der frühen Kindheit keine sicheren Bindungspersonen beinhaltet, dann wird es ein lebenslanges Thema in uns bleiben. Der Unterschied, wenn wir uns auf einen Traumaprozessweg einlassen, wird sein, dass es uns möglich sein wird, unsere Handlungen unseren Bedürfnissen nach anzupassen und im besten Fall erkennen, dass ein Netzwerk von Menschen für uns gut ist. Das ist meine persönliche Erfahrung.



Ein anderer Unterschied wird sein, dass wir beginnen, neue und gute Erfahrungen mit Bindungspersonen zu machen. 



Und allen Anfang bietet hier ein Therapeut oder eine Therapeutin, welche uns bei unserem Heilungsprozess begleitet.  Und ja, es erfordert Mut, Schritte zu wagen, um neue Erfahrungen zu machen. Doch am Ende lohnt sich jeder einzelne davon. 


Auf dem Traumaprozessweg lernen wir uns selbst und unsere Bedürfnisse besser kennen. Wir lernen zu unterscheiden, was uns wirklich guttut, was uns in unserer Heilung fördert und was nicht. Wir lernen das loszulassen, was wir bisher festgehalten haben, da es uns eine Sicherheit gegeben hat, welche auf Ängsten aufgebaut ist. Beziehungen und Bindungen, die uns viel Kraft gekostet haben. Beziehungsmuster, Bindungsmuster, die uns geschadet haben. Dieses lernen wir mit der Zeit loszulassen und nach Bindungen Ausschau zu halten, die uns körperlich und emotional guttun. 


Die Ausgangslage unseres autonomen Nervensystems ist auch beim Erleben einer Bindung, einer Beziehung tragend. Ein dysreguliertes Nervensystem, welches sich bereits im Überlebensmodus befindet, wird die Signale, die von der Bindungsperson ausgeht, mit diesem Filter der Dysreguliertheit betrachten und bewerten. Um eine Beziehung als sicher zu erleben, braucht es eine sicherere Umgebung und Wissen über die Möglichkeiten ein reguliertes Nervensystem zu etablieren. 


Die Nervensysteme, die viele Jahre in dieser Ausgangslage des Überlebens funktioniert haben, brauchen eine regelmäßige Unterstützung, um in eine Regulation zu kommen. Hier möchte ich wieder von ganzem Herzen die SOS Übungen nach Kati Bohnet empfehlen und auch andere Selbstregulationsübungen für das Nervensystem als tägliche Routine. 


Wenn die Ausgangslage unseres autonomen Nervensystems aus der Regulation hervorgeht, können unsere neuen positiven Erfahrungen in Begegnungen mit anderen Menschen erst integriert werden. Beides gehört zusammen, ein reguliertes Nervensystem und gute Begegnungen, gute Erfahrungen in Begegnungen mit anderen. Erst die Kombination dessen kann eine Transformation in uns bewirken.


Deswegen ist es so hilfreich, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, wo wir uns gerade, im Hinblick auf unser Nervensystem, befinden. So lernen wir, was wir brauchen und was nötig ist, um Erlebtes zu verarbeiten und zu integrieren, damit Neues in uns entstehen kann.



Der Blick auf die Welt verändert sich erst, wenn die inneren Blickwinkel sich verändern.



Wir lernen durch Unterschiede, unser Nervensystem lernt durch Unterschiede. Was bedeutet, dass wir auf unserem Weg, Hochs und Tiefs erleben werden. Das Erleben von im Kontakt bleiben zu können, mit unseren Beziehungspersonen, Bindungspersonen, ist dabei enorm bedeutsam. 


Wenn wir diese Erfahrung machen, dass wir auch in herausfordernden Situationen im Kontakt bleiben können und dass mit uns in Kontakt geblieben wird, wirkt sich das positiv verändernd auf unser Nervensystem aus. Aber auch wiederkehrende Trauma-Antworten unseres Nervensystems können damit besser eingeordnet werden, was Potenzial für eine Transformation in sich trägt.


Die Bindungs- und Beziehungsmuster, welche sich in uns von Kindesbeinen an gebildet haben, haben starke Bahnen und Verknüpfungen in unserem autonomen Nervensystem entstehen lassen. Deswegen ist es für mich ein sehr großes Anliegen, das Wissen über Trauma und dem Nervensystem zu verbreiten und Menschen dazu zu ermuntern, sich auf den Weg zu machen, wenn sie spüren, dass es an der Zeit ist, die inneren Nöte anzuschauen. 


Gleichzeitig denke ich und halte es für absolut wichtig, Nervensystemwissen, wie die Polyvagal-Theorie, bereits in frühen pädagogischen Kontexten zu unterrichten. Dafür gibt es bereits wunderbare pädagogische Materialien. 

Lehrkräfte, Betreuer, Pflegende, einfach Menschen, die mit Menschen arbeiten oder auch Menschen begleiten, wären mit diesem Wissen noch viel besser gerüstet. 



Ich bin überzeugt davon, dass es ein friedvolleres Miteinander gäbe,

weil das Verständnis für einander umfangreicher wäre.




Von Herzen, Tanja