Depression, eine Folge von Trauma
Depression, eine Folge von Trauma
Als traumatisierter Mensch taucht die Depression bei mir auf, wenn ich getriggert werde. Es ist ein Symptom für mich, und traumainformierte Menschen wissen, dass die Ursachen der Depression in Erfahrungen liegen, die Leid erzeugten.
In einem Bericht, den ich vor ein paar Tagen auf dem YouTube-Kanal Psychotherapie Ruland gesehen habe, wurden Zahlen vorgestellt, die besagen, dass in Deutschland – Stand 2022 – etwa 30 % der Bevölkerung Erfahrungen von Kindesmisshandlungen haben und laut epidemiologischer Studien 27,8 % der erwachsenen Bevölkerung von psychischen Erkrankungen betroffen sind. Die Zahlen sprechen meiner Meinung nach für sich.
Im Verlauf der Erkrankung gibt es Episoden von leichten bis schweren Symptomen. Ein Symptom, das Symptome hat. Alles im Leben beruht auf „Ursache und Wirkung“. Es reicht von sich als teilweise unverbunden mit sich selbst und anderen zu erleben bis hin zum Kollaps. In einer Depression fühlen wir uns selbst nicht mehr, nehmen unsere körperlichen, geistigen und seelischen Bedürfnisse nur noch unzureichend bis gar nicht mehr wahr. Wir erleben uns als hilflos und in totaler Abhängigkeit, was uns in tiefere Hilflosigkeit führt.
Nichts geschieht ohne Grund, das gilt auch für die Depression. Es gibt Auslöser für die Depression und Auslöser für deren Symptome.
Trigger können Gedanken, Emotionen oder Gefühle sein, Sinneswahrnehmungen, Handlungen und Bewegungen. Sie können von uns selbst ausgehen oder von anderen. Und dann ist da noch unser limbisches System mit seinen abgespeicherten Erinnerungen und Erfahrungen. Das limbische System spielt eine Rolle dabei, wie wir uns und unsere Umwelt wahrnehmen und deuten. Es setzt dann eine Kaskade von Reaktionen des autonomen Nervensystems in Gang.
Wir können unter anderem einen Geruch im Hier und Jetzt wahrnehmen und dann in eine Zeit zurückversetzt werden, die uns an ein Ereignis aus der Vergangenheit erinnert. Dies kann ein positives oder negatives Ereignis sein. Dann ist es entscheidend, welche Verknüpfungen im neuronalen Netzwerk entstanden sind, die dann bestimmte Reaktionen in uns auslösen. Die Ausgangslage unseres autonomen Nervensystems bestimmt dann unser Denken und Handeln.
Wenn uns dieses vergangene Ereignis überwältigt hat, sprechen wir von einem Trauma. Dieses Ereignis, oder anders gesagt, diese Erfahrung, kann einmalig oder wiederkehrend sein. Wiederkehrende Ereignisse während der Kindheit wie Beschämung, Gewalt, Vernachlässigung oder auch sekundäre Traumatisierung, zum Beispiel durch Bezeugung von Leid, können ein überwältigendes und traumatisierendes Erleben erzeugen. Erwachsene und bestimmte Berufsgruppen wie Ärzte, Pflegekräfte, Rettungssanitäter, Polizeibeamte und Soldaten können ebenfalls betroffen sein.
Ein Trauma kann dazu führen, dass man in ein Loch fällt, die Sinnhaftigkeit des Lebens hinterfragt oder gar verliert. Man kann tiefen emotionalen Schmerz spüren oder gar nichts mehr fühlen. Man kann dissoziieren und seine Umgebung nicht mehr wahrnehmen, seinen Bedürfnissen nicht mehr nachkommen oder vieles mehr, was individuell in einer depressiven Phase erlebt wird.
Trauma ist in diesem Zusammenhang etwas, das man im Blick behalten muss. Unser Nervensystem ist auf der Liste unserer körperlichen Regelkreise ganz oben. Trauma entsteht im Nervensystem und wird im Körper abgespeichert. Oft lassen wir uns durch Unwissenheit auf die falsche Fährte locken, da noch immer in der breiten Masse davon ausgegangen wird, dass das Trauma im Ereignis liegt und wir dieses falsch bewerten.
Das Trauma liegt nicht im Ereignis selbst, sondern in der Überwältigung des Nervensystems und wie unser Körper auf ein Ereignis reagiert.
Depression ist ein Resultat von etwas. Es ist nichts, was man sich aussucht. Niemand ist schuld, wenn er oder sie an Depression erkrankt.
Wenn wir einem traumatischen Erleben ausgesetzt sind, entwickeln wir Bewältigungsstrategien und verdrängen möglicherweise den darunter liegenden Schmerz. Unser Körper vergisst jedoch niemals ein einziges Erlebnis oder eine gemachte Erfahrung, und so kommt irgendwann der Augenblick, wenn das verdrängte Erleben sich uns in aller Deutlichkeit durch körperliche, geistige und seelische Ausdrucksformen zeigt.
Wir können zum Beispiel unser ganzes Leben lang den Schmerz in Arbeit und Abhängigkeiten ertränken, uns betäuben und von uns selbst abwenden. Der Körper vergisst niemals und arbeitet im Inneren mit der gebundenen Energie weiter, die, wenn sie keinen Ausdruck nach außen findet, destruktive Formen annimmt.
Bei einem Entwicklungstrauma kommt noch dazu, dass wir in eine „erlernte Hilflosigkeit“ (Seligman) rutschen. Somit bleiben wir vor der offenen Tür liegen, weil wir den Ausgang nicht sehen können. Doch auch das lässt sich durch traumatherapeutische Prozessarbeit (zurück) transformieren.
Um das Ganze zu veranschaulichen, hilft mir das Bild von einem gebrochenen Bein. Es entsteht durch ein traumatisches Ereignis, und auch ein Spontanbruch entsteht durch ein traumatisches Ereignis, das jedoch einen längeren Verlauf hat. Ähnlich wie ein Schocktrauma und ein Entwicklungstrauma.
Das gebrochene Bein ist also sprichwörtlich ein Symptom eines traumatischen Ereignisses, also das Endergebnis, welches sich körperlich manifestiert.
So ist es mit der Depression. Eine Depression entsteht durch ein vorangegangenes traumatisches Erlebnis, das plötzlich aufgetreten ist, also ein Schocktrauma oder ein anhaltendes traumatisches Erleben wie einem Entwicklungs- und/oder Bindungstrauma.
Ich stimme zu, dass Depression eine Erkrankung ist, aber es ist das Resultat eines vorangegangenen Ereignisses oder einer Begebenheit.
Dadurch wird klarer, warum Menschen durch Fehlinterpretation und Fehlbehandlung keine Auflösung der Erkrankung "Depression" erfahren können.
Jahrelange Therapien, Klinikaufenthalte, medikamentöse Therapien etc., welche nicht die Ursache der Depression im Blick haben, sondern nur die Symptome, führen in eine Sackgasse, und dann heißt es, der Mensch ist austherapiert.
Depression ist eine Symptom-Erkrankung, der leidvolle Erfahrungen in der Biografie zugrunde liegen. Diese traumatischen Erfahrungen prägen sich in uns ein und bilden Netzwerke in unserem Nervensystem.
Beschämung, Vernachlässigung, emotionale Gewalt, körperliche Gewalt, die wir als Kinder durch unsere Bezugspersonen erfahren, hinterlassen Narben in uns, die uns immer wieder daran erinnern lassen. Diese Erinnerungen sind im autonomen Nervensystem und im Körper gespeichert.
Deshalb lässt sich Depression nicht durch Mindsets verändern und heilen. Der nicht integrierte Schmerz dahinter lähmt und ist Nahrung für eine Depression. Dabei wird der Schmerz dieser andauernden Traumatisierung oft nicht mit der Ursache in Verbindung gebracht, sondern eher verdrängt. Das hat zur Folge, dass Menschen, die nur eine Symptom-Behandlung erfahren, in die Falle der "erlernten Hilflosigkeit" (Seligman) geraten.
Körperorientierte Traumatherapien können dabei helfen, dieses Leid, dieses Trauma aufzulösen, da sie den Betroffenen dabei helfen, an den Kern, an die Ursache der Depression zu kommen. In der weiteren traumatherapeutischen Begleitung kann durch hilfreiche Prozessarbeit zur Auflösung durch Integration beigetragen werden. Im Zusammenhang mit einer medikamentösen Intervention sollte auch immer eine Traumapsychotherapie zum gesamten Therapieplan gehören. Ohne die Traumatherapie bleibt die Ursache unbehandelt und das menschliche Leid wird nicht geheilt.
Um tiefe und langfristige Symptomlosigkeit erleben zu können, ist die Erfahrung von Selbstwirksamkeit sehr bedeutsam. Dies ist auch etwas, was kein Medikament geben kann. Die Erfahrung der Selbstwirksamkeit vermindert Schritt für Schritt das Gefühl der Hilflosigkeit. Auf dem Weg aus der Depression steht diese Erfahrung an erster Stelle. Aus eigenem Handeln heraus eine positive Veränderung zu spüren, hat einen tiefen Effekt.
Bewegung, Natur und Meditation sind nur einige Beispiele. Eine tägliche Routine mit Bewegung und Achtsamkeitselementen baut Resilienz in uns auf. Regulationstechniken helfen dem Nervensystem, sich zu regulieren, und wir bekommen immer mehr Zutrauen und Selbstvertrauen, dass wir Dinge schaffen können. Dass das Leben für uns ist und wir es in der Hand haben, für uns gut zu sorgen und uns unseren Bedürfnissen widmen können.